Das Werte- und Entwicklungsquadrat: Kritisches Feedback richtig geben

Auf konstruktive Weise kritisches Feedback zu geben, ist eine Kunst für sich. Denn wir möchten in den meisten Fällen eben nicht nur, dass unsere Kritik beim anderen angekommen ist, sondern auch eine Verhaltensveränderung bei unserem Gesprächspartner erreichen bzw. zumindest einen Denkanstoss dazu geben. Daher spielt es eine Rolle, wie wir unser Feedback formulieren und wie es dann bei unserem Gegenüber ankommt.

Würden wir nur anmerken, was uns am Verhalten des anderen stört, würde dieser sich wohl wenig wertgeschätzt fühlen und nicht unbedingt bereit dazu sein, sein Verhalten zu ändern.

Auch bekannte Feedback-Regeln (wie z.B. aktiv zuzuhören, klare Aussagen zu treffen (keine Verallgemeinerungen oder Übertreibungen), Beispiele zu nennen und auch positive Verhaltensweisen/ Eigenschaften der jeweiligen Person anzuführen) greifen möglicherweise zu kurz. Beispiel: „Frau Maier, Sie sind wirklich in der Lage, einen unheimlich guten Kontakt zu unseren Kunden aufbauen, aber dabei führen Sie häufiger zu lange Privatgespräche mit den Kunden."

Was hängen bleibt - vermutlich auch, weil es zuletzt genannt wird - ist die negative Äußerung und der fade Beigeschmack, dass der andere das positive Feedback nur geäußert hat, um im Anschluss sein negatives Feedback loszuwerden. Letztlich führen wir also eine Stärke des anderen an, die in eine Schwäche umgeschlagen ist. Andersherum könnte aber auch genauso gut jede Stärke in eine Schwäche umschlagen.

Dies greift das von Nicolai Hartmann (1926) stammende sogenannte Werte- und Entwicklungsquadrat auf, welches konstatiert, dass jeder Wert (jede Tugend etc.) nur dann seine konstruktive Wirkung erlangen kann, wenn er sich in ausgehaltener Spannung bzw. Balance zu einem positiven Gegenwert (bzw. einer sog. „Schwesterntugend“) befindet. Ohne dieses positive Spannungsverhältnis kommt es ansonsten zu einer „entwertenden Übertreibung“ des Wertes.  Das Entscheidende ist also: Jeder Wert benötigt die Balance zwischen zwei Polen. Und in jedem Wert steckt ein Entwicklungspotentzial.

Das Modell besteht somit aus vier Quadraten: Oben stehen dabei stets die positiven Gegenwerte und unten die „Unwerte“. Ein Beispiel: Freundlichkeit würde demnach ohne den positiven Gegenwert der reservierten Zurückhaltung in überschwängliche Distanzlosigkeit ausarten. Und reservierte Zurückhaltung würde ohne Freundlichkeit in abweisende Grantigkeit umschlagen.

Das jedes Verhalten oder jeder Wert nun auch eine positive Schwesterntugend besitzt, kann man sich zum Beispiel bei der Feedbackgebung zunutze machen. Hier sind 4 Schritte entscheidend:

  1. Benennen des positiven Kerns in Bezug auf das kritische Verhalten (Freundlichkeit) (inklusive Beispiel): „Frau Maier, sie sind wirklich sehr kommunikativ und ausgesprochen freundlich zu unseren Kunden. Das haben wir zuletzt bei unserem Kunden xy gesehen, der ein sehr schwieriger Kunde ist und nach Ihrer Kontaktaufnahme bereit für ein Verkaufsgespräch mit uns war. Das hat uns positiv beeindruckt.“
  2. Aufzeigen der Entwicklungsrichtung (Was ich mir wünsche, inklusive Beispiel): "Und gleichzeitig würden wir uns von Ihnen wünschen, dass Sie den Kunden gegenüber in einigen Situationen etwas zurückhaltender wären. Wir würden uns zum Beispiel wünschen, dass Sie in Erstgesprächen mit Kunden (noch) keine privaten Details erfragen."

Tipps: Ich-Botschaften verwenden. Nicht „aber“, sondern stattdessen „gleichzeitig“ verwenden, um keine Wirkung der Herabsetzung, sondern eine Wirkung der Gleichwertigkeit zu erzielen.

  1. Kritik / Gefahr formulieren („Sonst sehe ich die Gefahr“): „Sonst sehen wir unter Umständen die Gefahr, dass ihr Verhalten gerade auf neue Kunden etwas zu distanzlos wirken könnte.“
  2. Das Gegenteil formulieren („Die Gefahr sehe ich bei Ihnen nicht“): „Auf der anderen Seite sind wir sehr froh über Ihre freundliche und zugewandte Art, da wir keine Gefahr bei Ihnen sehen, dass sie unfreundlich auf unsere Kunden wirken, was sehr positiv ist.“

Lässt man das Gesagte auf sich wirken, merkt man vielleicht bereits, dass das erhaltene Feedback - trotz geäußerter negativer Kritik - insgesamt ein Gefühl der Achtung hinterlässt.

Das Modell eignet sich somit sehr gut für die Vermittlung von kritischem Feedback auf wertschätzende Art und Weise. Es zeigt sowohl einen Weg auf für den konstruktivem Umgang mit den Schwächen anderer Menschen, als auch mit den eigenen. Gerade weil es das Werte- und Entwicklungsquadrat vermag, Stärken, die in Schwächen liegen, aufzuzeigen, ist es insbesondere für die Bestimmung und Erarbeitung persönlicher Entwicklungsrichtungen im Coaching oder im Führungskontext geeignet.

Bei ungünstiger Teambildung („die eine Gruppe gegen die andere“) könnte es zudem eine Hilfestellung dafür leisten, Spaltungen und Lagerbildungen in Teams und Arbeitsgruppen aufzuheben.

Wir selbst haben das Modell, nach dem wir es bei einem Workshop von Diplom-Psychologin Katrin Baum kennengelernt haben, direkt auch einmal im Arbeitskontext angewandt. Ergebnis: Wir hatten den Eindruck, dass wir selbst sowie die andere Person  mit einem sehr guten Gefühl anschließend wieder aus dem Gespräch gegangen sind.

Mission erfüllt, liebes Werte- und Entwicklungsquadrat!


Weiterführende Links:

https://www.schulz-von-thun.de/die-modelle/das-werte-und-entwicklungsquadrat
https://www.schulz-von-thun.de/files/Inhalte/PDF-Dateien/Interview%20Das%20Werte-%20und%20Entwicklungsquadrat.pdf

 

 

 

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