Webinar-Bericht: Potenzialdiagnostik - State of the Art

 

Am 28.10.2021 sind wir mit zwei Referenten des WAfM-Instituts in die Welt der Potenzialdiagnostik eingetaucht, die sich unter anderem dafür eignet, die bestmöglich passende Person für eine Stellenausschreibung zu finden.

Im ersten Teil des Webinars erklärte Prof. Dr. David Scheffer (Studiengangsleiter der Wirtschaftspsychologie an der NORDAKADEMIE), was die Grenzen und Chancen bereits bestehender Potenzialdiagnostik-Instrumente seien und wie deren Aussagekraft gesteigert werden könne.


Nach Meinung von Prof. Dr. Scheffer würde bei jedem herkömmlichen Bewertungs- und Beurteilungsverfahren immer auch ein gewisses „Rauschen“ mitschwingen (z.B. subjektive Einschätzung, Sympathie etc.). Zudem sei es ein Problem, dass häufig nur eine bestimmte Art von Auswahlverfahren verwendet werden würde, was jedoch kein umfangreiches Profil und keine genaue Aussage über die Passung eines Menschen zu einer bestimmten Herausforderung liefere. Ziel dieser Verfahren solle jedoch eine höchstmögliche Validität sein.

Foto: © Dirk Raguse

 

Welche Testverfahren gibt es?

Intelligenztests: 1905 fand mit dem französischen Psychologen Alfred Binet die Intelligenzforschung ihren Ursprung, die vornehmlich im militärischen Bereich zum Einsatz kam. Intelligenztests sind in Berufsauswahlverfahren bei den Bewerbern nicht unbedingt beliebt, stellen aber mit die besten Prädikatoren für eine Position/Aufgabe dar und liefern damit eine sehr hohe Validität.

 

Selbstanalyse-/Persönlichkeits-Tests: In den 1980ern entwickelte sich die Strömung der Selbstanalyse-Tests (z.B. BIG FIVE), mit denen vor allem ermittelt wird, wie sich eine Person selbst wahrnimmt. Diese sind unter bestimmten Voraussetzungen kritisch zu sehen, da sie bisweilen sozial erwünscht beantwortet werden.

 

Implizite Motive: Die Historie dieser Testverfahren reicht tatsächlich bis zum Jahr 1900 und zu Sigmund Freud zurück, der wesentlich die Idee des Unbewussten prägte. Von 1935 bis 2019 wurden dann weitere Tests zur Ermittlung impliziter Motive entwickelt (z.B. TAT, OMT). Besonders interessant ist hier der Vergleich zwischen der Selbsteinschätzung eines Bewerbers und seinen tatsächlichen Motiven, denn nur dadurch erlange man ein annähernd authentisches Profil einer Person.

Zudem gibt es noch Emotionstests und bestimmte Arten von Leistungstests.  

 

 Chancen und Grenzen von Testverfahren

Grenzen:

  • Ein einziges Testverfahren und auch die Kombination verschiedener Testverfahren wird keine 100% Validität erreichen können
  • aufgrund der Anwendung einer/oder weniger Testverfahren kommt es eventuell zu schnell zur Ausgrenzung bestimmter Personen
  • bei der Durchführung der Testverfahren durch Laien kann es zu einem Missbrauch (z.B. Missinterpretation der Testergebnisse) kommen

 

Chancen:

  • durch eine Auswahl geeigneter und der Kombination valider Testverfahren kann eine Annäherung an eine 100%ige Validität stattfinden
  • es kann bei einem genauen Stellenprofil eine optimale Passung ermittelt werden
  • der Einsatz von moderner Technik (z.B. künstlicher Intelligenz) kann die Testung erweitern und bereichern
  • durch das Ermitteln einer genauen Passung wird für beide Seiten (Unternehmen und Bewerber) eine Win-Win-Situation hergestellt

 

Kernaussage des Referenten war, dass, um eine verlässliche Aussage hinsichtlich Persönlichkeit und Passung zu erlangen, immer verschiedene Testverfahren miteinander kombiniert werden sollten (Mehr-Ebenen-Validität).

 

Tipps für eine aussagekräftige Potenzialanalyse:

Dass Beachten der folgenden Parameter könne laut Prof. Dr. Scheffer die Aussagekraft deutlich erhöhen:

  • Kombination mehrerer Tests und Testmethoden
  • Beachtung der wissenschaftlichen Testgütekriterien (Testgütekriterien: Validität und Reliabilität)
  • Einbezug von Arbeitsproben (nach Schmidt & Hunter 1998: sehr hohe Validität)
  • Integritätstest (nach Schmidt & Hunter 1998: sehr hohe Validität)
  • Erstellung eines genauen Mitarbeiter-Wunschprofils, das auch wirklich die erforderlichen Kompetenzen enthält
  • Implizite Messung von Motiven und Persönlichkeit, da es hier zu Diskrepanzen im Hinblick auf die Selbsteinschätzung kommen kann und 80% aufgrund von unbewussten Motiven auf einer Stelle bleiben und nur 20% aufgrund von bewussten Motiven
  • Mensch-Maschine-Interaktion einbeziehen, da diese Testaussagen erweitern können (Künstliche Intelligenz in der Potenzialdiagnostik als Trend in 2021)

 

 

Im zweiten Teil des Webinars stelle dann Dr. Andreas Göhring (Leiter der Wirtschaftsakademie) die an der WAfM entwickelte Test-Batterie EPA vor, die den oben beschrieben Mängeln Abhilfe verschafft.

 

Einstellungsverfahren und Trefferquote einer erfolgreichen Einstellung

Interessant dazu war eine Übersicht, inwieweit bestimmte Einstellungsverfahren auch eine erfolgreiche Zusammenarbeit zur Konsequenz haben. Dies sind bei konventionellen Einstellungsverfahren, bei denen häufig auch auf das eigene Bauchgefühl geachtet wird, nur 14% Erfolgsquote. Strukturiertere Interviews liegen mit einer Trefferquote von 40% zumindest in der Mitte und sehr aufwendige Assessment-Center (1-2 Tage) bei 80-90% Erfolgsversprechen. Die EPAplus liegt mit 70-80% Voraussagepräzision etwas darunter, ist dafür aber auch sehr viel unkomplizierter, weniger zeitaufwendig und führt zu einer hohen Voraussagegenauigkeit.

 

Bestandteile des EPA

Die EPA-Testbatterie testet vier Bereiche, basierend auf den vier Ebenen einer Persönlichkeit:

  • Selbstbild: Wie sehe ich mich selbst?
  • Persönlichkeitsmerkmale: Wie handle ich?
  • Kognitive Fähigkeiten: Was kann ich?
  • Unbewusste Motive: Wer bin ich?

Zudem geht es bei EPA weniger um die (fachliche) Eignung eines Menschen, die leicht festgestellt werden kann, sondern vielmehr um die Passung und die genaue Analyse auf allen Ebenen, welcher Mensch gesucht wird für eine Stelle und, wie man dies herausfindet. Dies sei das schärfste Tool zur Voraussage von Berufserfolg.

 

Praxisbeispiele:

So konnte in der Praxis laut Herrn Dr. Göhring zum Beispiel ermittelt werden, dass ein Unternehmen zwar eine Person mit zahlreichen linkshemisphärischen Kompetenzen sucht (z.B. Kreativität, Flexibilität), aber die aktuelle Stellenanzeige vielmehr auf rechtshemisphärische Kompetenzen gemünzt war.

In einem anderen Fallbeispiel zeigte sich eine sehr große Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung eines Bewerbers auf eine Führungsposition (z.B. höhere Macht- und Bindungsorientierung), die diese Person aber laut Ergebnis aus den impliziten Testverfahren heraus gar nicht hatte (eher sehr hohe Leistungsorientierung und sehr geringe Machtorientierung). Die Person war also für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet, was erst anhand der Durchführung verschiedener Testverfahren deutlich wurde.

 

Die Testbatterie lasse in Summe 9 hoch 14 mögliche Persönlichkeitsprofile zu und daher sei die Möglichkeit, dass zwei Personen dasselbe Profil erlangen, so unwahrscheinlich wie ein Lottogewinn.

Das nennen wir mal eine wirklich individuelle Persönlichkeitsanalyse, welche es zu hoher Wahrscheinlichkeit gewährleistet, den richtigen Kandidaten für die jeweilige Position zu finden. Da Menschen viele verschiedene Persönlichkeitsmerkmale und Facetten besitzen, sollten es eben auch jene Tests sein, die diese Persönlichkeit erfassen sollen.

Vielen Dank für das informative Webinar!

 

Quelle: https://www.edudip.com/de/webinar/potentialdiagnostik-state-of-the-art-xing-28102021/1615130

 

 

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